Brain Circulation statt Brain Drain

DAAD/Barak Shrama Photography

Die GAIN-Jahrestagung bietet deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Nordamerika einen regen Austausch mit Vertretenden aus Wissenschaft, Politik und Industrie in Deutschland

Die Jahrestagung von GAIN (German Academic International Network) unterstützt deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Nordamerika bei der Kontaktpflege mit Arbeitgebern aus Forschung und Wirtschaft in Deutschland. Denn die Ströme der weltweiten Talentwanderung sind weder endgültig noch bewegen sie sich einseitig in eine Richtung. Hochqualifizierte bleiben nicht für immer im Zielland und halten auch Kontakt zu ihrem Heimatland – alle profitieren. Drei sehr unterschiedliche Karrieren illustrieren das exemplarisch.

Prof. Michael Zürch (33), Berkeley University of California:
Chancen ergreifen

Noch hallt jeder Laut im frisch bezogenen Büro von Michael Zürch an der Berkeley University of California. Denn außer einem Schreibtisch und einer Tafel an der Wand gibt es hier kaum Einrichtungsgegenstände. Es ist erst ein paar Tage her, dass Zürch hier seine Professur für Physikalische Chemie antrat. Das Labor, das die Universität ihrem neuen Professor einrichtet, ist noch eine Baustelle. Die Lieferung des Lasers, mit dem er seine Forschung mittels optischer Spektroskopie betreiben wird, erwartet er in ein paar Tagen. Sein Team wird bis Ende des Jahres zusammengestellt sein. Im Januar 2020 werden die Forschungsarbeiten beginnen. Zürch beschreibt sie als eine Mischung aus Physik, Chemie und Materialwissenschaften. Salopp formuliert erforschen er und sein Team Eigenschaften von Quantenmaterialien, die beispielsweise Photovoltaik effizienter und Computer um ein Vielfaches schneller machen können.

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Universität Jena

Michael Zürch hat an der Berkeley University of California eine Professur für Physikalische Chemie übernommen

Schritt für Schritt organisiert der Physiker Michael Zürch seinen inzwischen dritten interkontinentalen Umzug in nur wenigen Jahren. „Die Professur in Berkeley ist auf Dauer angelegt“, betont Zürch. Der 33-jährige Wissenschaftler schätzt diese seltene Sicherheit, um konzentriert zu forschen. Bisher sah das anders aus: Gelegenheiten erkennen, Perspektiven abschätzen, Entscheidungen treffen, beweglich sein. „Wie opportunistisch darf ein Wissenschaftler heutzutage sein?“ Den nächsten Karriereschritt zu erkennen, die Chance zu ergreifen, stellt junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie Zürch immer auch vor ein Dilemma. Denn an einen anderen, neuen Ort zu gehen heißt auch, am alten Ort eine Leerstelle zu hinterlassen. Aber nicht immer bedeutet das eine Abwanderung von Talenten, sondern es bewirkt eine globale Zirkulation. „Brain circulation“ statt „brain drain“. Forschung als Austausch in einer technisch vernetzten Welt unterliegt immer noch dem Wettbewerb. Darin stecken Chancen für alle Beteiligten. Prof. Zürch nimmt an diesem Austausch teil und stellt gleichzeitig eine neue Generation dar. Zur Forschung fand er eher zufällig, weil sein Studienabschluss mit der Wirtschaftskrise 2008 zusammenfiel. Eine Promotion in der Forschung war eine praktische Erwägung angesichts eines schwachen Arbeitsmarktes. Plötzlich fand sich Zürch im Labor wieder, Versuchsanordnungen aufbauend, messend, analysierend, forschend. Und er mochte es. Zürchs Interesse an Materialeigenschaften und wie man diese möglicherweise mit Licht steuert, war zu einer beruflichen Perspektive geworden. Ein kalifornischer Professor riet ihm, seine Arbeit als Post-Doktorand in Berkeley fortzusetzen. Zürch folgte dem Hinweis, hielt aber den Kontakt zu Deutschland und zu seiner Heimat-Universität: Das vom DAAD aufgelegte Forschungsprogramm „Make Our Planet Great Again – German Research Initiative“ (MOPGA-GRI) bot ihm Gelegenheit, Forschung in Jena zu betreiben. Zürch verließ Berkeley für Thüringen. Kurz darauf ergab sich die Chance, für ein Projekt Forschungsgruppenleiter im Berliner Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft zu werden. Möglicherweise waren beide Projekte ein Karrieresprungbrett, das Zürch die Professur in Berkeley eintrugen. Das Projekt in Berlin wird in den kommenden Monaten abgeschlossen. Jena läuft noch bis 2022 und Zürch betreut es weiter. Einerseits hinterlässt er an diesen Orten Leerstellen, andererseits schafft sein Weggang Persepktiven für jüngere Forschende –  der Weggang von Hochqualifizierten ist keine Einbahnstraße.

Prof. Franz-Ulrich Hartl (62), Max-Planck-Institut für Biochemie
Eine Frage für ein ganzes Forscherleben

Es ist ziemlich genau 30 Jahre her, dass Franz-Ulrich Hartl zum Forschen von München nach Los Angeles umzog. Bis dahin war der 1985 in Heidelberg summa cum laude promovierte Mediziner als Post-Doktorand in München bei Walter Neupert am Institut für Physiologische Chemie der Universität München tätig. Hartl folgte seiner Leidenschaft für Forschung auf den Gebieten der Zellbiologie, der Biochemie und der Chemie von physiologischen Prozessen. 1989 hatte er eine bahnbrechende Entdeckung gemacht: Er konnte zeigen, wie Proteine – sogenannte „Chaperone“ – neue Proteine dabei unterstützen, sich „richtig zu falten“. „Chaperon“ ist das englische Wort für Anstandsdame. Eine sprechende Bezeichnung für Protein-Gouvernanten, die in einer Art „Eiweiß-Kinderstube“ streng und effizient neue Proteine bei ihrem Entwicklungsprozess überwachen und zur Ausbildung ihrer funktionellen Struktur anleiten. Dabei achten sie darauf, dass die noch jungen Eiweiße nicht degenerieren und dadurch Schaden etwa im menschlichen Gehirn anrichten. Anders ausgedrückt: Auch wenn Prof. Franz-Ulrich Hartl seine initialen Entdeckungen an Hefezellen und Bakterien begann, so ist er doch seit über 30 Jahren der Bekämpfung neurodegenerativer Krankheiten wie zum Beispiel Alzheimer auf der Spur. Diese wissenschaftliche Fragestellung führte ihn nach Los Angeles, von dort zurück nach München, wo er sich habilitierte, und von München wieder in die USA. Diesmal jedoch an das Sloane Kettering Cancer Center in New York. Der Weg in die USA ergab sich aus dem wissenschaftlichen Netzwerk, dessen Bestandteil auch Hartl spätestens durch seine Arbeit im Team von Walter Neupert geworden war. Einig im Forschungsgegenstand, folgte auch in diesem Netzwerk jeder Wissenschaftler seiner Fragestellung. Wenn es sein musste, dann eben bis nach New York. Hartl kann in der Rückschau auf die vergangenen 30 Jahre eine auf persönlichen Erfahrungen basierende Antwort darauf geben: „In den USA wurde ich als Forscher gefördert und nicht nur mein Projekt. Das ist eine ganz andere Kultur.“ Klar steckt in dieser Beobachtung auch eine Reihe von Verlockungen: finanzielle und technische Ausstattung, persönlich wie institutionell. Und ein knallharter wissenschaftlicher Wettbewerb, der streng den Regeln der Effizienz folgt und deshalb die überdurchschnittlich Erfolgreichen überdurchschnittlich fördert. Und Hartl war erfolgreich – seine Stationen in New York sind beeindruckend: Associate Professor an der Cornell University, gleichzeitig Arbeit am Sloane Kettering Institute, ab 1993 ordentlicher Professor, Forschung am Howard Hughes Medical Institute.

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Max-Planck-Institut für Biochemie

Prof. Franz-Ulrich Hartl forscht am Max-Planck-Institut für Biochemie

Seit seiner Rückkehr aus New York 1997 ist Hartl Direktor der Abteilung Zelluläre Biochemie am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München. Seiner Fragestellung ist er treu geblieben. Er weiß heute deutlich mehr über die Chaperone als 1989, aber längst nicht alles. Sein Forschungseifer beschert ihm kontinuierlich Erfolge und Anerkennung. Gerade im vergangenen Jahr wurde er in die „Hall of Fame der deutschen Forschung“ aufgenommen. „Viele meiner US-amerikanischen Erfahrungen mit der dortigen Forschungskultur konnte ich in mein Labor in Martinsried implementieren“, erklärt Hartl. Hier forschen Menschen aus vielen Ländern. Die wissenschaftlichen Freiheiten, die Laborseminare, die flache Hierarchie, Kommunikation auf Englisch: All das hält Franz-Ulrich Hartl für wichtige Voraussetzungen effizienter Forschung in einer globalen Wissenschaftsgemeinde. Eine Formulierung wie „brain circulation“ sieht er nicht ohne Skepsis. „Amerikanische Post-Docs zum Beispiel verlassen nur selten die USA“, sagt er, „obwohl doch Auslandserfahrung durchaus etwas Wichtiges ist. Aber“, und damit kommt Hartl auf den Kern seiner wissenschaftlichen Laufbahn, den er als Rat an jede junge Wissenschaftlerin, an jeden jungen Forscher weitergeben will, „das Wichtigste ist, dass jeder für sich die eine Fragestellung findet, die ihn durch sein ganzes Forscherleben leitet.“

Dr. Markus Krause (40), Brainworks (Virginia und Kalifornien)
Mach Deine Idee zum Produkt

Noch ist Markus Krause in Berlin, kümmert sich um Visa-Angelegenheiten. Aber eigentlich ist er schon wieder auf dem Weg zu seiner Firma in Kalifornien. Brainworks.ai mit Sitz in Arlington, Virginia, und der San Francisco Bay Area entwickelt medizinische Geräte, die kontaktlos Herz- oder Atemfrequenz messen können oder den Blutdruck oder den Blutzucker. Die Anwendungsbereiche können individuell oder auch klinisch sein, Kranken tägliche Prozeduren erleichtern und Kliniken helfen, kostensparend und trotzdem effizienter zu arbeiten. Der Computerwissenschaftler Markus Krause ist auch Künstler und möglicherweise erklärt sich aus diesen Einzelaspekten das Ganze: Denn alles begann mit Computergrafiken. Diese künstlichen Gebilde und deren Anwendung vor allem in Computerspielen faszinierten den 1979 Geborenen seit seiner Jugend. Krause träumte von einem Kunststudium. Doch daraus wurde nichts, weil seine Bewerbung ablehnt wurde. Er zäumte sein Steckenpferd Computergrafik nun von der anderen Seite auf. Also: nicht Grafik, sondern Computer. Krause schrieb sich für Computerwissenschaften in Bremen ein. Nebenbei verdiente er als Gameentwickler dazu. Und er entdeckte völlig neue Möglichkeiten in seinem Sujet. „Wie wäre es, wenn man Spiele nicht zum Zeitvertreib der Spieler entwickelt, sondern um Daten zu sammeln oder kognitive und motorische Fähigkeiten zu trainieren?“ Markus Krause hatte für sich den richtigen Weg gefunden. Mit einer Dissertation über Künstliche Intelligenz in der Tasche empfahl er sich für die Schnittstellen von Mensch und Computer. Auch ihn zog es als Post-Doktorand an die Universität ins kalifornische Berkeley, ganz in die Nähe des Gravitationszentrums von Technik, Kreativität und Big Business. „Ich hätte auch ans MIT gehen können“, scherzt Krause, „aber in Boston wäre es mir einfach zu kalt.“ Weniger scherzhaft sagt er: „Mein Forschungsgebiet ,human computation' gab es 2008 in Europa quasi nicht. Die USA sind für diese Wissenschaft immens wichtig.“ Markus Krause hatte das schnell erkannt. Wie ein Katalysator wirkten persönliche Begegnungen etwa mit dem in Kalifornien lebenden Deutschen Sebastian Thrun, einem der weltweit bedeutendsten Experten für Künstliche Intelligenz und federführender Wissenschaftler bei der Entwicklung von Google Glass.

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privat

Dr. Markus Krause ist Gründer und Vizepräsident des Unternehmens Brainworks mit Sitz in Virginia und Kalifornien

Künstliche Intelligenz im Allgemeinen und MOOCs im Besonderen waren die Themen, die Thrun und Krause verbinden. MOOCs, also „massive open online courses“, sind Onlinebildungskurse zu unterschiedlichen Fertigkeiten und Themen. Sie sind eine neue Möglichkeit globaler Wissensvermittlung und -vernetzung. Sie bieten annähernd unbegrenzte Weiterbildungsmöglichkeiten und erlauben es, Talente zu erkennen und zu rekrutieren. Und sie sind ein Geschäft. Ein kalifornischer Kollege riet Krause: „Mach Deine Idee zu einem Produkt.“ Was lag da näher als eine Firma zu gründen, die „moocs“ vermarktet? „Mooqita“ war in der Welt. Krause firmierte als CEO und Gründer. Inzwischen hat er dort einen Gang zurückgeschaltet und begnügt sich seit seinem Einstieg und der Rolle als Vizepräsident für Forschung und Entwicklung bei Brainworks.ai mit der zweiten Reihe bei „Mooqita“.

Den Vorteil als Wissenschaftler seine Forschungsergebnisse selbst zu einem Produkt, also zu einem Geschäft, zu entwickeln, sieht Krause vor allem darin, auf diese Art etwas zu bewirken. „Den Weg von der theoretischen Grundlage zur Idee und dann zum Produkt, den kann man in den USA sehr gut lernen“, sagt Krause. Selbstverständlich empfiehlt er einen Auslandsaufenthalt im Laufe des Studiums. Auch wenn sich für ihn abzeichnet, dass sein Lebensmittelpunkt in Kalifornien bleiben wird, hält er die Idee von einem globalen Kreislauf der Forschung und der Forschenden für durchaus belastbar. „Selbst in Berkeley muss man achtgeben, dass man nicht in seiner eigenen Heimat-Community steckenbleibt. Dort gibt es Gruppen, die nur aus Deutschen, nur aus Chinesen, nur aus Indern bestehen!“

Axel Nixdorf (23. August 2019)

GAIN-Jahrestagung 2019

Weitere Informationen

Arbeiten und forschen in Deutschland
GAIN (German Academic International Network) organisiert jährlich in den USA eine Tagung mit über 500 Teilnehmenden, auf der sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland mit zahlreichen Vertreterinnen und Vertretern aus der deutschen Wissenschaftslandschaft, Politik und Industrie austauschen. Die Tagung besteht aus Paneldiskussionen, Workshops und Vorträgen zur internationalen Wissenschaftslandschaft und Karrieremöglichkeiten in Deutschland. Auf der umfangreichen Talent Fair kann man sich zusätzlich über konkrete Förder- und Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland informieren sowie mit Forschungsinstituten, Wissenschaftsorganisationen und Hochschulen Kontakte knüpfen.

GAIN19 Jahrestagung
23. bis 25. August 2019
San Francisco, Kalifornien

www.gain-network.org